Förderkreis zur Erhaltung 
 der Ruine Wachtenburg e.V. 
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
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Der halbe Turm -
das Wachenheimer Wahrzeichen der stauferzeitlichen Burg und seine Zerstörung

von Dr. phil. Holger Grönwald M.A., Berlin

An höchster Stelle der Burg steht der alles überragende, über 23 m erhaltene und einst etwa 30 m hohe Bergfried. Die Grundfläche des Bergfrieds der Wachenheimer Burg maß ursprünglich 8,25 × 9,25 m, wovon seit dem Jahre 1689 nur etwa die Hälfte erhalten ist. Ein Sprengversuch, um den es hier kurz gehen soll, spaltete den Turm. Dank der ersten Sicherungen 1898, 1928, 1984, und 1995 sowie der jüngsten, aufwändigen Sanierungen bis 2004 - 2005 ist sein Zustand dennoch erstaunlich (über die Maßnahmen wurde an dieser Stelle immer wieder berichtet; vgl. die Hefte 46/2003, 48/2003, 49/2004 sowie 52/2005).
Die Wirkung des Turms ist ebenso eindrücklich wie exemplarisch: Wird bei bildhaften Aufmaßen stets eine Schnittdarstellung angestrebt, so bietet sie sich hiervon selbst dar. (Abb. 2, gegenüberliegende Seite) Der mit der Schildmauer eine Einheit darstellende Turm ist ein beeindruckendes Beispiel der Entfaltung einer neuen weltlichen Macht während der Stauferzeit. Zwischen 1140 und 1268 manifestierte sie sich in derartigen Bauprojekten. Gegenüber den statisch kaum Risiken eingehenden Bauten der Salierzeit wurden von der Bodennähe gelöst deutliche Zeichen gewandelter gesellschaftlicher Verhältnisse gesetzt. Zudem definierte man sich erstmals über Profanbauten und nicht allein über die Errichtung großer Gotteshäuser (vgl. Pfefferkorn 1977, 5).

Dieser Wandel fand auch Kritik und so wurden Darstellungen des Turmbaus zu Babel ausgehend vom Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (*1125/1130, † 1195) über anderthalb Jahrhunderte hinweg in Illustrationen der biblischen Geschichte mit der Errichtung hoher Bergfriede verbunden (Abb. 2).
Der zwischen dem Ende des 12. Jahrhundert (nach 1193) und nach typologischen Erwägungen bis spätestens 1210 errichtete Bergfried bindet zwar direkt südöstlich des ersten Burgtors in die zuvor errichtete Schildmauer ein, sein Schalenmauerwerk ist aber selbst im unteren Bereich nicht in dieser verzahnt. Die Mauern stoßen stumpf aneinander und die Schildmauerkrone wird ab einer Höhe von ca. 12 m vom Turm überlappt. Durch diese außergewöhnliche, allerdings nicht singuläre Verbindung entsteht am Mauerfuß eine Stärke von beachtlichen 5,25 m. Darüber ist sie ca. 3,85 dick. An den Flanken sind die Turmmauern dagegen nur 2,05 bis 2,30 m stark. Die Rückseite beschränkt sich auf ca. 2,26 m. Trotz der Baufuge ist mit der Verschränkung beider Baukörper eine gemeinsam zugrundeliegende Bauplanung vorauszusetzen.
Außen ist der Bergfried vollständig mit auf ihrem Spiegel nur grob bearbeiteten Buckel- bzw. Bossenquadern, dem Leitmotiv an Profanbauten der Stauferzeit verkleidet. Deren Datierung und Typologisierung ist ein eigenständiges, hier nicht weiter zu vertiefendes Thema. Die Ausführung legt jedenfalls eine Entstehung in der Spätzeit der spezifischen Rohbuckelquadergestaltung am übergang zum 13. Jahrhundert nahe. Jeder Werkstein hat sein eigenes `Gesicht´, was die Maueroberfläche in einem ästhetisch anspruchsvollen Wechsel im Verbau belebt. Die Buckel der gegenüber der Schildmauerschale kleineren Quader wurden roh bearbeitet und mit einem Randschlag von 0,025 bis 0,03 m an einander angeglichen. Im Erdgeschoss sind sie in Schichthöhen zwischen 0,25 und 0,40 und im erhaltenen obersten Geschoss von 0,23 bis 0,33 m versetzt. In der Bosse belassene und Quader mit tiefer ausgemeißelten Spiegeln treten nebeneinander auf. Nur wenige Zangenlöcher als Spuren des Einsatzes von Hebewerkzeugen bzw. eines Baukranes finden sich auf der Nordseite des Turms in einer Höhe von ca. vier Metern. Rüstlöcher gibt es nicht und nur sehr wenige Steinmetzzeichen: Sechs davon auf der Nordseite, zwei auf der stark verwitterten West- und ebenfalls zwei auf der durch Brandeinwirkung oberflächig beschädigten Südseite. Wie die Schäden an den teils in Schalen, teils an den Kanten abgeplatzten Steinen im Inneren des Turms mit seinen fünf erhaltenen, durch Rücksprünge bzw. Konsolgesimse markierten Geschossen dürfte diese mit der Belagerung 1470 und der Wirkung dabei eingesetzter Brandbomben zu verbinden sein (vgl. Heft 61/2010).

 
 

Zu betreten war der Turm durch einen fünf Meter über dem Bodenniveau im ersten Obergeschoss liegenden Hocheingang auf der Südseite. Ursprünglich lag er frei, erreichbar über eine Leiter oder ein Treppengerüst. Die endlich näher zu beleuchtende Sprengung hinterließ nur das linke Gewände sowie den Rundbogen- bzw. Kämpferansatz. Ob der Turm etwa während des 30-jährigen Krieges und der Besetzung Wachenheims durch spanische ab 1621 oder schwedische Truppen 1631 einen weiteren Brand erlitt, ist nicht bekannt. Der markante Schaden entstand während des Pfälzer Erbfolgekrieges bzw. des Orleanschen Erbkriegs (1688– 1697). Wachenheim wurde in dessen erstem Jahr von den ohne Kriegserklärung in die Kurpfalz einmarschierenden Truppen der französischen Rheinarmee des Sonnenkönigs Ludwig XIV. (* 1638, † 1715) besetzt. Der zuvor unter den maréchaux Jacques-Henri de Duras und Joseph de Montclar aktive General Ezéchiel du Mas, comte de Mélac (* um 1630, † 1704) führte diese. Mélac profilierte sich mit dem Ziel der Gegnerentfestigung sowie Zerstörung aller Lebensgrundlagen. Zahlreiche Städte und Festungen fielen seinen Truppen zum Opfer (vgl. Martin 1993, 35–68). 1689 entschloss man sich zur Sprengung des Wachtenburger Bergfrieds, was strategisch keinerlei Sinn machte. Weder ging von der bereits ruinösen Anlage eine Bedrohung aus, noch war eine Festsetzung von Gegnern zu befürchten: Die Rheinarmee hatte längst die ostrheinischen Gebiete der Markgrafschaft Baden erreicht. Sie bot sich allerdings als militärisches Testgelände zur Erprobung verfügbarer Chemikalien und Sprengtechniken an. Speziell mittelalterliche Türme eigneten sich, da mit ihnen mächtige, an Massivität modernen Festungswerken vergleichbare Bauwerke zur Verfügung standen, deren Einebnung kaum jemanden störte. So experimentierten bereits 1674 Mineure aus Giromagny im Département Territoire de Belfort im Auftrag von Vincent-Mathias Poncet de la Rivière († 1693) bzw. des Kriegsminister François Michel Le Tellier de Louvois (* 1641, † 1691) am Turm der Ruine der ab 1224 erbauten Engelburg von Thann im Elsass (Château d‘Engelbourg, l‘Œil de la Sorcière/das Hexenauge, 68800 Thann).
 
 
Die Unterminierung schwächte allerdings nur dessen Fuß soweit, dass er umstürzte. Die Turmtrommel zerbarst nicht und liegt heute noch oberhalb des Ortes. Die Sprengmeister Mélac´s wurden erst in Heidelberg aktiv, dessen Schloss nach der Belagerung ab Jahresende 1688 im Februar 1689 durch Einsatz von Pechkränzen ausbrannte. Sie sprengten den Dicken Turm der Karlsbastion. Den sogenannten Krautturm nahm man sich nach der erneuten Eroberung 1693 vor (vgl. Forbriger u. a. 2013, 165f; man setzte 38, mit 27000 Pfund Pulver geladene Minen ein, die wegen teils feuchter Lagerung aber keine volle Wirkung entfalteten). Auf der Wachtenburg blieb nach der Explosion 1689 eine Hälfte des mächtigen Turmes stehen und die Schildmauer verlor „nur“ ihre Außenschale. An dieser ließ sich noch erkennen, wie die Mineure vorgingen: Oberhalb des erhaltenen Burgtoransatzes ist die Ausmeißelung einer Sprengkammer mit nachvollziehbaren Spuren der Explosionswirkung sichtbar. Zudem verlief entlang des Sockelbereichs bis zur statisch nötigen Mauersanierung ein auf die Anlage eines Ganges zur Deponierung der Pulvervorräte zurückzuführender extremer Rücksprung. Man fragt sich wie bei Thann, warum der erhaltene Rest nicht vollends zerstört wurde. Die Antwort ist simpel: Nach der vollzogenen Sprengung war es nicht nötig, die Spezialisten in der unsicheren Ruine zu gefährden. Deren „Erkenntnisse“ gingen in militärische Dokumentationen und Studien ein, die etwa als Vorlagen für Veröffentlichungen wie den Band Art Militaire der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert (1751–1780) dienen konnten. Für die Wachtenburg bedeutete die Sprengung, dass sie nach dem Versturz von etwa 500 bis 600 m³ Schutt im Burginneren nicht mehr wohnlich nutzbar war. Das Trümmerfeld beräumte man allerdings systematisch zur Gewinnung von Baumaterial und legte dabei den Zugang zur verschütteten Zisterne wieder frei.
Nachtragend ist anzumerken, dass sich die mittelalterliche Institution des Burglehens mit speziellen Vorrechten bzw. Privilegien der Burgmannen als Repräsentanten von Adelsgeschlechtern fortan von der Ruine der Wachtenburg löste. Erstaunlicherweise erhielt man sie in Wachenheim. Obwohl diese nach den Vertretern der Bürger und der Beamten für die Stadtverwaltung keine Rolle mehr spielten, bezogen mindestens zwei Lehensnehmer noch bis zum Eintreffen der Truppen des Revolutionsheeres der Französischen Republik tradiert-verbriefte Einkommen (vgl. Schwarz/Welz/Barz 2007, 171). Der Turm blieb trotz allem über der Stadt und der Landschaft sichtbar stehen.


Literatur: Forbriger u. a. 2013: Markus Forbriger, Hubert Mara, Bastian Rieck, Christoph Siart, Olaf Wagner, Der „Gesprente Turm“ am Heidelberger Schloss. Untersuchung eines Kulturdenkmals mithilfe hoch auflösender terrestrischer Laserscans, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3/2013 (Stuttgart 2013) 165–168. Martin 1993: Michael Martin, Ezechiel du Mas, comte de Mélac (1630–1704). Eine biografische Skizze. In: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte Bd. 20/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire 1500-1815 (Sigmaringen 1993), 35–68. Pfefferkorn 1977: Wilfried Pfefferkorn, Buckelquader an Burgen der Stauferzeit in Württemberg (Ludwigsburg 1977). Schwarz/Welz/Barz 2007: Albert Schwarz, Uwe Welz, Dieter Barz, Wachtenburg. In: Jürgen Keddigkeit, Ulrich Burkhart, Rolf übel, Pfälzisches Burgenlexikon, Band 4.2: St-Z (Kaiserslautern 2007) 164-182. ZADZ 4 2012: 3D-Archäologie mit Hammer und Meissel. Mittelalterliche Mauern geben ihre Geschichten preis, in: einst und jetzt. Die Zeitschrift zu Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Zürich Ausgabe 4 2012 (Stallikon/Zürich 2012) 25–33.

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